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Erpel, die Erpel begatten, die tot sind

By Kees Moeliker – CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6008753

Wir schreiben das Jahr 1995. Im Naturhistorischen Museum Rotterdam sitzt der Kurator Kees Moeliker (das spricht man “Muhlicker”) in seinem Büro im zweiten Stock, es ist Wochenende und er ist allein im Gebäude. Plötzlich hört er einen lauten Knall, der aus dem Erdgeschoss zu kommen scheint. Kees geht nach unten und entdeckt durchs Fenster die Ursache des Geräusches – eine männliche Stockente ist gegen die Glasfassade geflogen und hat so ihr unzeitliches Ende gefunden. Das passierte damals öfter mit verschiedenen Vögeln, denn die Glasfassade war neu. Kees will nach draußen gehen, um den Erpel einzusammeln – als etwas ungewöhnliches geschieht. Ein weiterer, lebender Erpel kommt hinzu und beginnt, seinen toten Artgenossen aggressiv zu begatten und zwischendurch immer wieder auf ihn einzuhacken. Ganz Wissenschaftler, dokumentiert Kees dieses äußerst verstörende, doch interessante Verhalten, das er weiter durchs Fenster beobachtet. Nach über einer Stunde – der lebende Erpel ist noch immer kräftig bei der Sache – geht Kees nach draußen, scheucht den “Vergewaltiger” weg und sammelt sein Opfer ein. Er wird es später ausstopfen und fotografieren, um seine Beobachtungen in einem Artikel zu veröffentlichen. Dieser Artikel bringt ihm acht Jahre später den Nobelpreis.

Naja, nicht den richtigen Nobelpreis. Sondern den Ig Nobelpreis. Dieser Preis wird verliehen für Wissenschaft, die die Menschen erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringt über Erkenntnisse und Erfindungen, die einzigartig sind (und dies vielleicht auch besser bleiben sollten). Der Name Ig Nobel ist ein Wortspiel aus dem bekannten Nobelpreis und dem englischen Wort “ignoble”, was sowiel heißt wie “schmachvoll” oder “unehrenhaft”. Der echte Nobelpreis ist mit ca. 880,000 € dotiert. Für den Ig Nobel-Preis bekommt man zehn Billionen Dollar.

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Nicht wundern, dass da “Trillion” draufsteht – die Wörter für große Zahlen unterscheiden sich im Deutschen und Englischen. (Bild: zimbabwedollars.net)

Kein Scherz, wirklich. 10,000,000,000,000 Dollar.  Okay, Simbabwe-Dollar (Das war bis 2009 die offizielle Währung dieses afrikanischen Landes). Durch die Extreme Inflation dieser Währung sind die zehn Billionen Simbabwe-Dollar leider praktisch nichts wert. Man kann die Scheine für ein paar Euro bei Ebay kaufen.

 

Auch 2015 gab es Ig Nobelpreise für verschiedene glückliche Wissenschaftler. Die werden übrigens diskret gefragt, ob sie den Preis annehmen wollen, bevor sie zur Zeremonie eingeladen werden. Die allermeisten sagen Ja. Denn es geht nicht darum, die Wissenschaft lächerlich zu machen, sondern ungewöhnlichen und manchmal auch bizarren Erkenntnissen einen gewissen Bekanntheitsgrad zu verschaffen.

Marko Bosscher, https://www.youtube.com/watch?v=1VlgZGg9FTo
Marko Bosscher, https://www.youtube.com/watch?v=1VlgZGg9FTo

Dieses Jahr wurde zum Beispiel ein Wissenschaftler geehrt, der herausfand, dass Hühner wie Dinosaurier laufen, wenn man ihnen einen Pömpel an den Hintern klebt. Ihr wisst schon, das Saugnapfding zum Toilette-Entstopfen. Eine weitere Gruppe Wissenschaftler fand einen Chemikalienmix, um Eier zu “unkochen”, also hartgekochte Eier wieder weichzukriegen. Vielleicht gar nicht schlecht, wenn man auf mittelweiche Eier steht und die Eieruhr mal wieder nicht gehört hat. Ein weiteres Forscherteam aus dem Bereich der Literaturwissenschaften fand heraus, dass jede Sprache ein Äquvalent für das “…, ne?” oder “…, nech?” oder “…, oder?” hat, das man ans Satzende hängt, um sich beim Gesprächpartner Bestätigung zu holen.

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George und Charlotte Blonsky

Auch Erfindungen haben Ig Nobelpreise bekommen. So zum Beispiel ein mechanischer Gebärhelfer, bei dem die Gebärende auf einen Tisch mit drehbarer Oberfläche geschnallt und dann schnell gedreht wird. So soll dem Kind per Zentrifugalkraft aus dem Mutterleib geholfen werden. Das Teil hat natürlich auch ein Baby-Auffangnetz. Ist doch klar, man hat die Maschine schließlich gut durchdacht. Eine andere äußerst praktische Erfindung war ein Wecker, der immer wieder wegläuft und sich versteckt, um einen zum Aufstehen zu zwingen. Die Erfinder hofften, damit das Leben vieler Menschen effizienter zu machen.

Skurrile wissenschaftliche Erkenntnisse erfordern anscheinend überdurchschnittlich viele Selbstversuche. Michael L. Smith ließ sich wiederholt von Bienen stechen, an 25 verschiedenen Körperstellen. Das Fazit: Am Penis tat’s am meisten weh, an den Armen am wenigsten. Aha. Oder Donald L. Unger, der 60 Jahre lang mit den Fingern einer Hand knackte (mindestens zweimal täglich), mit denen der anderen Hand jedoch niemals. Seine Oma hatte ihm als Kind immer gesagt, dass man vom Knacken Arthritis bekäme. Bekommt man nicht, hat er herausgefunden (er jedenfalls nicht). Das nenne ich Durchhaltevermögen! Und dann war da noch John Trinkaus, der sehr genau protokollierte, was ihn im täglichen Leben so störte – wieviele Leute Baseballcaps mit dem Schild nach hinten statt nach vorne tragen, wieviele Leute an einem bestimmten Stopschild nur langsamer wurden, aber nicht anhielten, wieviele Leute mehr als die erlaubten Artikel an der Expresskasse im Supermarkt aufs Band legten, etc. Mehr als 80 solcher Zählungen hat der Mann angefertigt und veröffentlicht.

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Miss Sweetie Poo (das Mädchen links, das den Vortragenden anschreit) bei der Ig Nobelpreis-Verleihung 2002 (Bild: improbable.com)

Einige der Erkenntnisse, die mit einem Ig Nobelpreis ausgezeichnet wurde, waren eher Freizeitprojekte, zum Beispiel die Sache mit dem Fingerknacken. Andere jedoch, etwa die Schmerzstudie von Bienenstichen oder das Huhn mit dem Pömpel am Hintern, gründen auf ernsthaften wissenschaftlichen Fragen. Und ernsthaft ist Wissenschaft eigentlich fast immer, und sehr zeitaufwändig und stressig. Darum ist es ganz schön, wenn man einmal im Jahr über Wissenschaft lachen kann. Das geht am Besten, wenn man sich die Zeremonie auf YouTube anschaut anschaut. Die ist nämlich eine Klasse für sich.

Viele Preisträger kommen in albernen, selbstgebastelten Kostümen, die zu ihrer Studie passen. Um sicherzugehen, dass niemand mit seiner ewig langen Dankesrede das Publikum einschläfert, gibt es ein (echtes! – keine Schauspielerin) achtjähriges Mädchen, “Miss Sweetie Poo”, die den Sprecher nach drei Minuten anbrüllt: “Hör auf, mir ist langweilig!” Und die Preise – aus billigem Material gebastelt – werden von Preisträgern des http://im.rediff.com/news/2014/sep/20nobel11.jpgechten Nobelpreises überreicht. Die Gemeinschaft der Wissenschaftler nimmt die Ig Nobelpreise also durchaus als wichtiges Ereignis wahr! Die renommierte Zeitschrift Nature bezeichnete die Ig Nobelpreis-Verleihung sogar als “Höhepunkt des Wissenschaftsjahres”.

Es gibt Wissenschaftler, die zwei Nobelpreise bekommen haben, z.B. Marie Curie. Es gibt auch Leute, die zwei Ig Nobelpreise bekommen haben. Soweit ich weiß, hat noch niemand sowohl den Ig- als auch den echten Nobelpreis gewonnen. Melanie hat mich in den Kommentaren darauf aufmerksam gemacht, dass Andre Geim, ein russlanddeutscher Physiker, beide Preise bekommen hat: Den echten Nobelpreis erhielt er gemeinsam mit Konstantin Novoselov für ihre Untersuchungen an Graphen (das spricht man “Grafeen”), einer kristallinen Form von Kohlenstoff, die nur eine Atomschicht dick ist und als vielversprechender neuer Stoff für bessere Mikrochips gilt. Den Ig Nobelpreis bekam Andre Geim dafür, dass er die diamagnetischen Eigenschaften von Wasser nutze, um einen Frosch in einem Magnetfeld schweben zu lassen. Andre Geim hat übrigens die britische und niederländische Staatsbürgerschaft und wurde von der Queen of England zum Ritter geschlagen. Der Mann hat wirklich was erreicht im Leben!

PS.: Kees Moeliker hat seinen Ig Nobelpreis bei sich zu Hause im Gästeklo aufgehangen.

Velociraptor, der glorifizierte Truthahn

Velociraptor - Film und echt
Bilder von screeninvasion.com und Matt Martyniuk – image from http://en.wikipedia.org/wiki/Image:Velociraptor_dinoguy2.jpg

Diesen Sommer kommt Jurassic World in die Kinos. Ein guter Grund, um zurückzuschauen und ein bisschen die Wissenschaft hinter dem ersten Jurassic Park-Film zu beleuchten.

Jurrasic ist das englische Wort für Jura, ein Erdzeitalter in dem viele Dinosaurier lebten, zum Beispiel der Allosaurus, ein großer Raubsaurier, oder Brachiosaurus, der langhälsige Pflanzenfresser. Auch Archaeopteryx, der sogenannte Urvogel, lebte im Jura. Die Stars des Jurassic Park aber, T-Rex und Velociraptor lebten natürlich… nicht im Jura. Sondern in der Kreide. Da müsste der Film jetzt eigentlich „Cretaceous Park” heißen (Cretaceous ist das englische Wort für das Kreide-Zeitalter). Tut er leider nicht, spricht sich ja auch nicht so schön (man spricht es ungefähr so: Kri-täi-schus). Da bin ich schon ein bisschen enttäuscht. Film: 0 Punkte, Wissenschaft: 1 Punkt.

Velociraptoren, die Publikumslieblinge im Film, werden als mannshohe schuppige Monster mit Killerklauen dargestellt, mit denen sie ihre Beute der Länge nach aufreißen. 2005 drehte die britische BBC eine Doku zum Thema „Killersaurier“, in der sie die Fähigkeit dieser Klauen testeten, die Haut eines Schweins aufzuschneiden. Das klappte wirklich überhaupt nicht. Inzwischen vermuten Paläontologen, dass die Klauen verwendet wurden, um wichtige Blutgefäße anzustechen und das Opfer damit verbluten zu lassen. Zur Jagdtechnik gibt es auch einige neue Erkenntisse: Es stimmt wahrscheinlich, dass Velociraptoren zu mehreren jagten. Und sie sprangen ihre Opfer auch an, wie es im Film teilweise gezeigt wird. Der Zweck dieses Manövers war wahrscheinlich, sich schlicht auf die Beute draufzusetzen und sie damit in die Knie zu zwingen. Auf einem um sein Leben kämpfendes Tier zu sitzen ist allerdings nicht besonders gemütlich und erfordert gute Balance. Da sind lange Klauen zum festhalten ganz praktisch. Und seine gefiederten Arme nutze Velociraptor wohl ebenfalls zum Balancieren in solchen Situationen. Jawoll, er hatte Federn. 2007 wurden an einem Fossil aus Mongolien Federansätze an den Armen von Velociraptor gefunden. An Fossilien anderer Dinosaurier konnten größere Mengen Keratin nachgewiesen werden, dem Hauptbaustoff von Federn. Inzwischen weiß man von vielen Dinosaurierspezies, dass sie Federn hatten. Auch der gigantische zweibeinige Deinocherus gehört dazu, er konnte bis zu 11 m groß werden. In dem Bereich hat Velociraptor übrigens nicht viel vorzuweisen. Er würde einem Menschen nur etwa bis zum Knie reichen. Also, mannshohes, schuppiges, Beute-aufreißendes Untier gegen gefiederte truthahngroße Echse, die anscheinend auch mal gerne auf vier Beinen lief. Film: 0 Punkte, Wissenschaft: 2 Punkte.

Und zuletzt geht’s ans Eingemachte: Wäre es überhaupt möglich, Dinosaurier aus dem Blut im Bauch von Urzeitinsekten wieder zum Leben zu erwecken? Ähm, nein. Sorry. Saurier-DNA, die Erbsubstanz, die die dafür nötigen Informationen enthielte, ist zwar vielleicht tatsächlich in einigen Mückenmägen erhalten geblieben. Aber wenn überhaupt, dann nur in winzigen Stücken, die auf keinen Fall ausreichen würden, einen funktionierenden Organismus zu klonen. Selbst dann nicht, wenn man die Lücken mit Frosch-DNA füllt, wie im Film geschehen. Das ist überhaupt der größte Quatsch. Frösche sind Amphibien, mit einer dünnen Haut voller Sekretdrüsen zum Feuchthalten. Außerdem haben Frösche keine Rippen. Dinosaurier sind Reptilien, deren Haut von Schuppen bedeckt ist. Und Rippen haben sie auch. Warum würde man die Erbinformation eine Reptils mit der eines Amphibiums ergänzen? Warum denn bitteschön nicht mit der einer Schildkröte, eines Krokodils, eines Geckos? Alles Reptilien! Das ist so haarsträubend, dass es einen Minuspunkt gibt. Film: -1 Punkt, Wissenschaft: 3 Punkte. Hätten wir das auch geklärt.

Ich werde den Film natürlich trotzdem sehen. Dino-Action! Das lasse ich mir nicht entgehen.