Anfang dieses Jahres wurde in Großbritannien eine neue Form der künstlichen Befruchtung zugelassen, bei der ein Kind gezeugt wird, dass drei genetische Eltern hat. Zwei Mütter, einen Vater. Eizelle und Spermazelle kommen von den leiblichen Eltern des Kindes. Die zweite Frau kommt als Mitochondrien – Spenderin ins Spiel. Was sind Mitochondrien und inwiefern kann eine Mitochondrien-Spende Paaren mit Kinderwunsch helfen?
Mitochondrien sind die „Kraftwerke“ der Zelle. Sie nutzen den Sauerstoff, den wir einatmen und der von den roten Blutkörperchen zu allen Zellen transportiert wird. Den Sauerstoff brauchen die Mitochondrien, um ATP herzustellen. ATP ist die Energiewährung alles Lebewesen, der Kraftstoff, der das Leben antreibt – wie Benzin oder Diesel beim Auto und Elektrizität im Haushalt. Alle unsere Muskeln und Organe brauchen das Molekül ATP, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Mitochondrien sind also extrem wichtige Bestandteile unserer Zellen. Und das Merkwürdige an ihnen ist, dass sie ihr eigenes Genom, also ihre eigene Erbinformation in Form von DNA in sich tragen. Diese Erbinformation ist unabhängig von der Haupt-Erbinformation des Menschen, die auf der DNA im Zellkern gespeichert ist. Diese Zellkern-DNA bestimmt die meisten unserer Eigenschaften – wie wir aussehen, welche Eigenschaften wir haben und so weiter. Doch auch die DNA in den Mitochondrien nimmt auf unser Leben Einfluss. Sie ist vor allem wichtig für die Funktion dieser kleinen Zell-Kraftwerke.
Und da beginnt das Problem, denn wenn Mitochondrien nicht richtig funktionieren, können fatale Krankheiten entstehen. So zum Beispiel das Leigh-Syndrom, das bei Säuglingen Muskelschwäche, Epilepsie und Entwicklungsverzögerungen verursacht und innerhalb weniger Jahre zum Tod führt. Andere Krankheiten, deren Ursache in den Mitochondrien liegt, gehen mit Taubheit, Sehstörungen, Muskellähmungen und Defekten im Nervensystem einher. Ziemlich scheußlich also. Seit etwa 20 Jahren arbeiten Forscher jedoch daran, Frauen aus Familien mit solchen mitochondrialen Krankheiten den Wunsch nach einem gesunden Kind zu erfüllen. Bevor ich dazu mehr erkläre, will ich erst einmal diese Frage beantworten: Wie kann es sein, dass Mitochondrien ihre eigene DNA haben? Und warum muss man sich keine Sorgen machen, wenn in der Familie des Mannes mitochondriale Krankheiten vorkommen?
Vor etwa anderthalb Milliarden Jahren schwammen in der Ursuppe die ersten primitiven Zellen herum. Sie alle hatten bereits Erbinformation auf einer recht kurzen DNA, die sie exakt kopierten und weitergaben, wenn sie sich teilten. Einige dieser frühen Zellen gewannen Energie, indem sie Sauerstoff und Kohlenstoffverbindungen aus dem Wasser aufnahmen und durch mehrstufige chemische Reaktionen in ihrem Zellinneren zu ATP verarbeiteten. Das kann man auch einfach „atmen“ nennen. Andere wiederum gewannen Energie, indem sie diese atmenden Zellen „fraßen“. Wie frisst ein Einzeller? Indem er seinen Zellkörper über den Zellkörper des anderen stülpt und ihn sich so gewissermaßen einverleibt. Die aufgenommene Zelle wird dann verdaut. Aber nicht immer. In einigen Fällen muss es wohl dazu gekommen sein, dass so ein Atmer von der anderen Zelle, die ihn in sich aufgenommen hatte, nicht verdaut wurde. Stattdessen blieb er als „Zelle in der Zelle“ am Leben und atmete weiter, setzte also Sauerstoff und Kohlenstoffverbindungen zu Energie um. Da dieser Atmer jetzt aber innerhalb einer anderen Zelle wohnte, kam dieser das ATP aus der Atmung auch zugute. Und der Atmer lebte geschützt und konnte nicht gefressen werden. Dieses Phänomen nennt man „Endosymbiose“. Das Wort ist aus verschiedenen griechischen Wörtern zusammengesetzt und bedeutet soviel wie „innen zusammenleben“ und wird verwendet, um eine Beziehung von beiderseitigem Nutzen zwischen zwei Lebewesen zu beschreiben. Im Laufe der Jahrmillionen verlor der Atmer viele Teile seiner DNA, sodass er nicht mehr frei leben konnte und zur Organelle wurde, einem Zellorgan. Doch auch heute haben diese Organellen, die wir nun „Mitochondrien“ nennen, noch genügend DNA um innerhalb der Zelle ein Eigenleben zu führen und sich selbstständig zu teilen.
Und was hat das mit Frauen und Fortpflanzung zu tun? Mitochondrien werden bei Säugetieren nur von der Mutter weitergegeben. Der Grund dafür ist einfach: die Spermien des Mannes müssen schnell sein. Mitochondrien haben ein gewisses Gewicht, das so ein Spermium langsam machen würde. Also enthalten Spermien schlichtweg keine Mitochondrien. Sie brauchen auch keine, da sie nicht besonders lange überleben müssen. All das ATP, das sie zum Schwimmen benötigen, wird vorher in den Spermien gespeichert.
Wenn die mitochondriale DNA aber Mutationen trägt, können die Mitochondrien nicht richtig funktionieren und es kommt zu Krankheiten. Die meisten Menschen mit Gendefekten in den Mitochondrien tragen eine Mischung aus kranken und gesunden Mitochondrien. So können oft die gesunden Mitochondrien die Defekte ausgleichen und eine Krankheit bricht nicht oder erst spät im Leben aus. Ist der Anteil kranker Mitochondrien jedoch höher als 60 %, können Krankheiten schon im Säuglingsalter ausbrechen. Solche Krankheiten sind nicht heilbar und meist auch nicht oder nur schwer behandelbar. Wenn eine Frau also weiß, dass solche mitochondrialen Krankheiten in ihrer Familie vorkommen, musste sie früher oft die schwere Entscheidung fällen, keine eigenen Kinder zu bekommen. Denn man kann nicht kontrollieren oder vorhersagen, wieviele kranke Mitochondrien an das Kind weitergegeben werden (selbst, wenn die Frau keine Symptome hat, kann sie einen gewissen Anteil kranke Mitochondrien haben).
Hier kommt nun die „Drei-Eltern-Befruchtung“ ins Spiel. Bei dieser Variante der künstlichen Befruchtung wird eine Eizelle der „echten“ Mutter mit dem genetischen Material des Vaters befruchtet. Das genetische Material dieser befruchteten Eizelle wird dann entnommen und in eine entkernte, befruchtete Eizelle der zweiten Frau eingebracht. So bekommt das Kind das genetische Material aus den Zellkernen seiner Eltern – und sieht ihnen damit ähnlich – hat aber die Mitochondrien einer anderen, gesunden Person. Da die Mitochondrien nicht mithilfe von Genen aus dem Zellkern hergestellt werden, sondern sich selbstständig innerhalb der Zelle teilen, ist dieser genetische Mix kein Problem.
Diese neue Methode wird in Großbritannien bereits angewendet. Doch in allen anderen Ländern ist sie nicht erlaubt, da sich ethische Probleme ergeben: Die Eizelle mit den gesunden Mitochondrien muss ebenfalls befruchtet sein. Eine befruchtete menschliche Eizelle ist streng gesehen jedoch ein lebensfähiger menschlicher Embryo. Mit der Entfernung des genetischen Materials aus diesem Embryo nimmt man ihm die Chance, zu leben. Es gibt jedoch eine zweite Methode, bei der keine Befruchtung der Spender-Eizelle notwendig ist. Bei dieser Methode wird die Eizelle erst befruchtet, nachdem das genetische Material der leiblichen Mutter in die entkernte Spender-Eizelle eingebracht wurde. Doch trotzdem ergeben sich praktische Erwägungen: Wieviel bezahlt man der Eizell-Spenderin? Hat sie auch ein Recht auf das Kind? Ganz abgesehen von den ethischen Fragestellungen, die seit dem Beginn der künstlichen Befruchtung bestanden, z.B., ob wir irgendwann diese Technik nutzen werden, um das perfekte Kind, den perfekten Mensch, den perfekten Soldaten zusammenzubauen.
Ich persönlich glaube, dass wir Menschen einfach zu neugierig sind, um etwas, das möglich ist, nicht zu tun. Die Neugier ist es, die uns so weit hat kommen lassen. Sie treibt alles voran: Kunst, Kultur, Wissenschaft. Was ist möglich, wie weit können wir kommen? Dieser Frage werden Menschen immer nachgehen. Die neuen Techniken werden immer weiter entwickelt werden und alles, was möglich ist, werden wir irgendwann auch tun. Ethische Bedenken werden wir immer haben, doch letztendlich werden wir wohl den Fortschritt wählen. Ich glaube allerdings nicht, dass wir in zehn Jahren schon perfekte Babys züchten. Vielleicht in hundert oder fünfhundert Jahren. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich nicht. Es gibt Argumente für beide Seiten. Es muss jeder für sich entscheiden, welche Meinung er hat und welche Seite er unterstützt. Als Wissenschaftler bin ich natürlich ein neugieriger Mensch. Und ich kann nicht leugnen, dass ich die Möglichkeit, sich bewusst für ein gesundes Kind zu entscheiden attraktiv finde.