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Die Superbabies kommen…

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Das obere Bild illustriert das Horrorszenario in den Köpfen vieler, wenn sie “Forschung an menschlichen Embryonen” hören. Es wird aber lediglich an kleinen Gruppen von Zellen sehr früher Embryonen geforscht. (Fotos:commons.wikimedia.org)

…erstmal nicht. In Großbritannien wurde vor wenigen Tagen die Erlaubnis gegeben, menschliche Embryonen genetisch zu verändern, das gab es nie zuvor. Sofort haben sich Stimmen geregt, die Bedenken aussprachen, jetzt könnten Supermenschen designt werden. Aber diese Angst ist unbegründet und ich möchte euch erklären, warum.

Zunächst einmal wurde die Erlaubnis nur einem einzigen Forschungsteam am Londonder Francis Crick-Institut erteilt. Geleitet wird dieses Team von der Molekularbiologin Kathy Niakan. Sie möchte die recht neu entwickelte CRISPR-Cas9-Methode nutzen, um gezielt einzelne Gene des menschlichen Genoms so verändern und die Auswirkung dieser Veränderung auf die menschliche Embryonalentwicklung zu studieren. Doch was bedeutet all das genau?

Beginnen wir beim Thema “Gene”. Ein Gen ist ein Teil der DNA eines Lebewesens. Auf der DNA ist all die Information gespeichert, die notwendig ist, um dieses Lebewesen zu “bauen”. Also zum Beispiel, wie groß man ist, welche Gesichtsform man hat, welche Haarfarbe, etc. Unser Körper ist zu einem goßen Teil aus Proteinen, also Eiweißstoffen aufgebaut. Doch Proteine sind nicht nur die Baustoffe unseres Körper, sie stellen auch viele “Arbeiter”, die dafür sorgen, dass unser Körper funktioniert.
Diese funktionellen Proteine, Enzyme genannt, sind auch wesentlich an der Entwicklung eines gesunden menschlichen Babies aus einer befruchteten Eizelle beteiligt. Und wenn eines dieser Enzyme nicht richtig funktioniert, können schwere Entwicklungsdefekte entstehen. Frühe Defekte, die bei den ersten Teilungen der befruchteten Eizelle auftreten, können die Eizelle an der Einnistung in die Plazenta hindern oder den jungen Embryo so stark schädigen, dass er abstirbt. Solche frühen Defekte sorgen für einige Arten der weiblichen Unfruchtbarkeit und einen Großteil der Fehlgeburten. Schätzungen zufolge entwickeln sich nur 13 % der befruchteten Eizellen über den dritten Schwangerschaftmonat hinaus!

Über die Gründe für diese zahlreichen früh scheiternden Schwangerschaften ist sehr wenig bekannt – und das möchte Niakan mit ihrer Forschung ändern. Was ist nun die CRISPR-Cas9-Methode?
Es handelt sich dabei um eine recht neu entwickelte Methode für die ganz gezielte Veränderung von Genen. Bis vor einigen Jahren war die Veränderung von Genen noch sehr schwierig und ungenau, mit extrem geringen Erfolgsraten. Etwa so, wie wenn man eine Reihe Dosen hat und eine bestimmte Dose wegschießen will, aber leider nur eine Schrotflinte zur Verfügung hat. Mit CRISPR-Cas9 wurde Wissenschaftlern in aller Welt nun ein Präzisionsgewehr mit Zielfernrohr in die Hand gegeben. Es funktioniert buchstäblich wie ausschneiden und einkleben. Man kann perfekt den Teil eines Gens entfernen, den man will und dafür etwas beliebiges anderes einfügen, oder den ausgeschnittenen Teil einfach löschen. Ich weiß wovon ich rede, ich habe die Methode im Labor selbst angewendet – allerdings an Fruchtfliegen – und es hat hervorragend funktioniert! Und nur mit einer solch genauen Methode ist es überhaupt sinnvoll, an menschlichen Embryonen zu forschen. Denn nur, wenn man ganz genau kontrollieren kann, welche Gene man verändert und auf welche Weise, kann man verlässliche Aussagen treffen. Niakan und ihre Kollegen können nun also erforschen, welche Gene für die frühe menschliche Embryonalentwicklung wichtig sind, und warum. Sie hoffen, damit die Erfolgsraten für natürliche und künstliche Befruchtung langfristig zu erhöhen. Und wenn man bedenkt, dass Frauen in den Industrieländern sich immer später im Leben für Kinder entscheiden, wenn die Fruchtbarkeit bereits eingeschränkt ist, ist diese Forschung umso wichtiger. Schon jetzt wird jedes 80. Kind in Deutschland durch künstliche Befruchtung gezeugt!

Und aus der künstlichen Befruchtung, in der Fachsprache in vitro-Fertilisation, kurz IVF (“im Glas-Befruchtung”) kommen auch die Embryonen, die Niakan und ihr Team verwenden werden. Für jede Frau, die IVF in Anspruch nimmt, werden mehr Embryonen befruchtet, als eingepflanzt werden – falls etwas schief geht. Die übrigen Embryonen durften bereits zuvor gespendet werden, zum Beispiel an Frauen, die selbst keine gesunden Eizellen hatten. Von nun an können Frauen in England die nicht eingepflanzten Embryonen auch dem Labor von Kathy Niakan spenden. Dort muss dann zügig gearbeitet werden, denn Niakan möchte sich die ersten sieben Tage der menschlichen Embryonalentwicklung genau anschauen. Die Embryos müssen nach spätestens 14 Tagen vernichtet werden und dürfen selbstverständlich keiner Frau eingepflanzt werden. Die Wissenschaftler dürfen auch nicht einfach wild drauflosforschen – jedes geplante Experiment, jedes untersuchte Gen muss zuerst dem Ethikrat vorgestellt werden, der in jedem Fall einzeln beschließt, ob das Experiment dem Erkenntnisgewinn dient und ethisch vertretbar ist.

Seit vielen Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler in aller Welt, die menschliche Embryonalentwicklung besser zu verstehen. Bisher war das nur an Hand von Tiermodellen möglich. Ich selbst habe für genau diese Forschung die Fruchtfliege verwendet. Doch letztendlich kann man die Ergebnisse aus solchen Modellorganismen nicht uneingeschränkt auf en Menschen übertragen. Kathy Niaka und ihr Team können diese Lücke nun vielleicht schließen.

Trotz allen Regeln und Beschränkungen, denen die Forschung an menschlichen Embryonen nun noch unterliegt, denke ich persönlich, dass irgendwann einer Frau ein genetisch veränderter Embryo eingepflanzt wird. Ich glaube, dass es sich um einen Embryo handeln wird, bei dem einige krankhaft veränderte Gene repariert wurden. Und wer weiß, wohin das führt. Denn wir tun letztendlich doch alles, was möglich ist. Wir sind einfach zu neugierig, zu begierig auf Fortschritt, um es nicht zu tun. Versteht mich nicht falsch, ich bin absolut für diese Forschung. Aber ich gehe einfach davon aus, dass es immer weitere Kreise ziehen wird. Ich sehe dem recht zuversichtlich entgegen, schließlich bin auch ich nur eine neugierige Forscherin!

Von Mäusen und Männern

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Dass Eltern sich um ihre Kinder kümmern, scheint selbstverständlich, schließlich ist es für das Überleben der Nachkommen und damit der gesamten Art notwendig. Doch was so selbstverständlich erscheint, ist in Wirklichkeit ziemlich kompliziert. Bis heute wissen wir nicht ganz genau, wie die elterliche Fürsorge für ihre Nachkommen im Gehirn “programmiert” ist und was geschehen muss, um etwa eine männliche Maus vom Kindstöter zum fürsorglichen Vater umzupolen.

Bei vielen Säugetieren zeigen die Männchen aggressives Verhalten gegenüber Jungtieren, oft töten sie sie sogar. Männchen, die sich gepaart haben zeigen dieses Verhalten meist nicht, sie entwickeln stattdessen väterliche Instinkte.
Die Tötung von Jungtieren durch Männchen scheint ziemlich barbarsich, ist aber genetisch gesehen sinnvoll, denn ein Männchen will seine eigenen Gene möglichst weit verbreiten. Wenn es also nicht sicher sein kann, dass ein Jungtier von ihm stammt, tötet das Männchen es “vorsichtshalber” und begattet das Weibchen dann selbst. Doch was hält ein Männchen davon ab, seine eigenen Nachkommen zu töten, selbst dann, wenn es sich gleich nach der Begattung davongemacht hat? Es könnte doch sein, dass so ein Männchen vergisst, mit wem es wann… na, ihr wisst schon. Und wenn es dann zurückkommt, macht es womöglich seine eigenen Bemühungen zunichte!

Um dieses Rätsel zu lösen, hat eine Gruppe von Neurowissenschaftlern um Catherine Dulac von der Harvard Universität männliche Mäuse Weibchen begatten lassen, und hat sie dann vom Weibchen getrennt. Selbst, wenn die Männchen die Weibchen nicht mehr sahen und in einem anderen Käfig waren, zeigten sie etwa ab der Zeit der Geburt ihrer Nachkommen väterliches Verhalten, sogar gegenüber Jungtieren, die sie nicht selbst gezeugt hatten. Mäuseväter helfen dann beispielsweise beim Nestbau oder putzen den Nachwuchs. Es gibt anscheinend also eine innere Uhr, die vom Zeitpunkt der Begattung an “herunterzählt” und ziemlich genau zur Geburt abgelaufen ist – und dann eine zuvor aggressive männliche Maus zum lieben Papa macht.
Dieses Phänomen war zuvor bereits bekannt. Doch Catherine Dulac und ihr Team gingen noch ein paar Schritte weiter. Sie schalteten ein bestimmtes Protein im Jacobsonschen Organ der Mäuse aus. Das Jacobsonsche Organ befindet sich in der Nase von Säugetieren und besteht aus kleinen Einbuchtungen in der Schleimhaut. Es enthält spezielle Sinneszellen, die vor allem Pheromone, also Sexual-Lockstoffe

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wahrnehmen. Von der normalen Atemluft wird dieses Organ oft nicht erreicht – es sei denn, das Tier “flehmt”. Das hat man vielleicht bei Pferden schon einmal gesehen, sie ziehen die Oberlippe hoch (wer lustige Tierfotos sehen will, gibt einfach mal “flehmen” bei Google ein). Das führt die Lockstoffe dann dem Jacobsonschen Organ zu und leitet den tierischen Casanova zum empfängnisbereiten Weibchen.

Wenn man nun die Funktion dieses Organs einschränkt – wie im Labor von Dulac und Co. – wird das Sexualverhalten der Mäuse stark verändert, und zwar bei beiden Geschlechtern. Männchen versuchen, sich sowohl mit Weibchen als auch Männchen zu paaren, Weibchen besteigen ebenfalls ihre Artgenossen jeden Geschlechts. Außerdem zeigt kein Geschlecht mehr Agressionen gegenüber fremden Mäusewelpen (jungfräuliche Weibchen sind Welpen gegenüber nämlich auch nicht so ganz freundlich). Das zeigt, dass Pheromone nicht nur den Paarungstrieb steuern, sondern auch die Fürsorge für den Nachwuchs!

An sich wäre dieser Fund schon interessant genug, doch Dulac und ihre Kollegen verfolgten das Signal aus dem Jacobsonschen Organ noch tiefer ins Gehirn der Mäuse. Dort fanden sie spezielle Neuronen, die das “Fürsorge-Signal” an Gehirnzentren weiterleiten, die dann wahrscheinlich die Verhaltensänderung steuern. Dafür schütten diese Neuronen den Botenstoff Galanin aus. Wurde dieser Botenstoff in Mäusemüttern blockiert, ignorierten diese öfter die Hilferufe von aus dem Nest gefallenen Welpen. Auch Mäuseväter ohne Galanin zeigten deutlich reduzierte Fürsorge. Umgekehrt verringerte eine erhöhte Dosis Galanin in männlichen Mäusen deutlich deren Aggressivität gegenüber fremden Welpen, und zwar so stark, dass die Männchen die Welpen sogar zu putzen begannen.

Ob sich diese Erkenntnisse so ohne Weiteres auf Menschen übertragen lassen, ist jedoch äußerst fraglich. Das Jacobsonsche Organ ist beim Menschen nur bis zum achten Lebensmonat nachweisbar, danach “verschwindet” es. Und es gibt so einige menschliche Väter, die kein gesteigertes Interesse an der Fürsorge für ihren Nachwuchs zeigen. Oder hat jemand von euch schonmal neun Monate nach einem One-Night-Stand das plötzliche, starke Bedürfnis entwickelt, ein Neugeborenes in den Armen zu wiegen?

 

Schwein muss man haben!

www.nature.com

Mehr als 10.000 Deutsche standen im Jahr 2014 auf der Warteliste von Eurotransplant, einer Non-profit-Organisation für Organspenden. Nur etwa 3.100 Menschen erhielten im selben Jahr eine Organtransplantation. (Wer mehr Zahlen will, findet sie hier: statistics.eurotransplant.org, englisch und hier: www.organspende-info.de, deutsch)

So oder so ähnlich sieht es in der ganzen Welt aus. Viel mehr Organe werden benötigt, als gespendet werden. Und selbst wenn Menschen bereit sind, nach ihrem Tod bestimmte Organe zu spenden, heißt das noch lange nicht, dass ihre Organe „passen“. Das Abstoßen von fremden Organen durch den Körper eines Patienten ist ein großes Problem. Oft müssen Menschen, denen fremde Organe transplantiert wurden, viele Medikamente nehmen, um die Abstoßung des Spenderorgans zu verhindern. Doch warum werden fremde Organe abgestoßen?

Jedes Lebewesen hat ein Immunsystem, das Eindringlinge erkennt und abwehrt. Die Eindringlinge können Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien sein, aber auch Zellen anderer Menschen. Habt ihr es schon mal erlebt, dass ihr krank wurdet, nachdem ihr einen neuen Freund oder eine neue Freundin hattet? Am Anfang einer Beziehung knutscht man meistens ziemlich ausgiebig (und tut andere Dinge mit sehr intensivem Körperkontakt, nicht wahr…). Dadurch gelangen viele Zellen des anderen in unseren Körper. Das Immunsystem wird alarmiert von all diesen „Fremdlingen“, und kann durch diesen Ansturm auch mal überfordert sein – dann hat es keine Kapazitäten mehr um Erkältungs- oder Herpesviren zu bekämpfen und zack – werden wir krank oder kriegen Bläschen auf der Lippe. Mit der Zeit erkennt das Immunsystem die Zellen unseres Knutschpartners als harmlos und beruhigt sich wieder. Außerdem sinkt die Knutschfrequenz meist nach einigen Monaten Beziehung. Ähnlich ist es mit einem transplantierten Organ, nur, das dessen Kontakt mit dem Körper des Patienten viel ausdauernder und intensiver ist. Da beruhigt sich das Immunsystem eben nicht wieder, sondern kämpft andauernd gegen den „Eindringling“. Manchmal ist diese Abwehrreaktion so stark, dass das Organ wieder entnommen werden muss, weil es das Leben das Patienten gefährdet. Wie wunderbar wäre es, wenn Spenderorgane maßgeschneidert werden könnten!

Dieser Traum schwirrt schon lange in den Köpfen der Transplantationsmediziner herum, aber bisher konnte er kaum umgesetzt werden. Perfekt auf einen bestimmten Patienten abgestimmte Organe können natürlich nicht in anderen Menschen gezüchtet werden, das ist verboten und würde den anderen Menschen zum Ersatzteillager degradieren (interessanter Spielfilm zum Thema: Beim Leben meiner Schwester, OT: My Sister’s Keeper). In Schweinen allerdings wäre das möglich. Warum ausgerechnet Schweine? Nun, ihre Organe haben eine Größe, die gut in den menschlichen Körper passt. Wer jetzt entrüstet aufschreit, den lade ich ein, meinen Artikel über Tierversuche zu lesen.

Schon seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat man versucht, Organe aus Schweinen und Pavianen zur Organtransplantation bei Menschen zu verwenden – ohne Erfolg. Das Immunsystem des Menschen lehnt sich zu sehr auf. In den Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind, hat man versucht, Gene des Schweins so zu verändern, dass seine Organe menschenähnlicher werden und so vom menschlichen Immunsystem nicht mehr als fremd eingestuft werden. Doch die Methoden zur gezielten Genmutation waren bis vor Kurzem sehr kompliziert und hatten eine geringe Erfolgsrate.

Vor wenigen Jahren wurde jedoch eine neue Methode entwickelt, mit der man kontrolliert ganz gezielte Veränderungen in Genen hervorrufen kann. Diese Methode funktioniert so gut, dass man dutzende Gene gleichzeitig genauso modifizieren kann, wie man gerne möchte. Sie wird jetzt angewendet, um Schweine genetisch so anzupassen, dass ihre Organe für menschliche Patienten geeignet sind. Doch was genau muss dafür verändert werden?
Jede Zelle im Körper eines Lebewesens trägt Proteine an ihrer Oberfläche. Diese Proteine sind für jede Spezies – Ratten, Schweine, Menschen – unterschiedlich. Doch nicht nur das, sie unterscheiden sich auch zwischen Mitgliedern derselben Spezies, also zwischen mir und meinem Freund. Und diese Protein sind es auch, die vom Immunsystem als fremd erkannt werden. Unser Immunsystem kennt die Oberflächenproteine unserer eigenen Zellen, nicht jedoch die anderer Menschen, mit denen wir gerade knutschen oder deren Organ wir eben in uns tragen. Darum stößt es diese fremden Zellen ab. Wenn aber die Gene, die den Bauplan für diese Oberflächenproteine tragen, so verändert werden, dass sie zum jeweiligen Patienten passen, würde das Organ nicht mehr als fremd erkannt. Das würde das Leben des Patienten sehr erleichtern, denn er müsste keine Medikamente mehr nehmen, um sein Immunsystem zu unterdrücken. Das bringt nämlich große Nachteile: Ein unterdrücktes Immunsystem stößt nicht nur das Spenderorgan nicht mehr ab, sondern wirkt auch nicht mehr gegen tatsächlich unerwünschte Eindringlinge, z.B. Krankheitskeime. Und selbst bei unterdrücktem Immunsystem kann das fremde Organ so viel Stress auf den Körper ausüben, dass das Leben des Patienten stark beeinträchtigt wird.

Doch noch sind wir nicht so weit, dass jeder ein genetisch auf ihn ausgerichtetes Organ bekommen kann. Noch sind Mediziner und Wissenschaftler damit beschäftigt, Schweineorgane überhaupt für Menschen geeignet zu machen. Aber von da bis zum maßgeschneiderten Organ ist es gar nicht so weit. Dies wäre eine große Hilfe und Erleichterung für all jene, die schon seit Jahren vergeblich auf ein Spenderorgan warten.

Käfer putzen Leichen für faule Wissenschaftler

Das Museum für Wirbeltier-Zoologie im amerikanischen Berkeley nutzt fleischfressende Käfer, um Skelette zu reinigen. Die Larven und Erwachsenen Tiere des Speckkäfers Dermestes vulpinus fressen alles Fleisch, was sie finden können, lassen dabei aber selbst die kleinsten Knochen intakt. Sehr praktisch für die Präparatoren des Museums und noch dazu umweltfreundlich, weil chemikalienfrei. Aber wehe, wenn die Käfer aus dem Präparationsraum entwischen – sie fressen nämlich wirklich alles tierische Material, das kein Knochen ist und können in der Sammlung des Museums großen Schaden anrichten!

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DNA mitgefangen, den Falschen gehangen

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Früher habe ich immer die „Micky Maus“ gelesen. Ziemlich regelmäßig gab es da Detektivsets als Extras, die ich fleißig benutzt habe, um herauszufinden, wer in meinem Kinderzimmer war. Fingerabdrücke habe ich auch versucht zu nehmen, aber das klappte meist nicht so recht – man braucht wirklich extrem feines Puder und einen sehr weichen Pinsel, habe ich später herausgefunden.

Ob die Spurensicherung so etwas heute noch im Werkzeugkasten hat? Jetzt gibt es schließlich DNA-Fingerprinting, das ist viel besser und genauer! Was aber, wenn meine DNA an jemandes Händen oder Klamotten klebt, von einer Umarmung, einem Händeschütteln, oder einfach nur, weil ich in der vollen U-Bahn unfreiwilligen Körperkontakt hatte? Ja, dann könnte es schon mal passieren, dass die Polizei bei mir klingelt.

Die DNA ist unsere Erbinformation, quasi die Bauanleitung für unseren Körper, und die ist für jeden Menschen einzigartig. Fast jede unserer Zellen enthält DNA, auch unsere Hautzelle. Und die sterben ständig und werden abgestoßen. Wir hinterlassen also überall, wo wir hingehen, unsere DNA – ob wir wollen oder nicht. Dies wurde einem Amerikaner namens Lukis Anderson 2013 beinahe zum Verhängnis. Seine DNA wurde unter den Fingernägeln eines Mordopfers gefunden, er wurde für einige Monate in Untersuchungshaft genommen. Sein „Glück“ war, dass er zum Tatzeitpunkt mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus war, und somit ein Alibi hatte. Doch wie kam man überhaupt darauf, ihn zu beschuldigen? Nun, dieselben Sanitäter, die sich um Anderson gekümmert hatten, wurden auch an den Tatort des Mordes gerufen (obwohl dem Opfer leider nicht mehr zu helfen war). Diese Sanitäter brachten so Andersons DNA zum Mordopfer.

Das Problem, das wir heutzutage bei der Verbrechensaufklärung haben, sind ironischerweise die immer besseren Nachweismethoden. Früher brauchte man eine sichtbare Menge Material – Blut, ein Haar mit Wurzel, etc, um genügend DNA für eine eindeutige Identifzierung zu bekommen. Heutzutage reichen schon ein paar einzelne Hautzellen, mit bloßem Auge unsichtbar. Um sie zu gewinnen, werden auf Gut Glück Proben von Oberflächen am Tatort und von verschieden Körperstellen des Opfers genommen. Die darin enthaltene DNA wird vervielfältigt und mit bestimmten Methoden untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden mit den Daten bekannte Straftäter verglichen. Wenn der Verdächtige nicht darunter ist, wird ein sogenannter „Screen“ durchgeführt, bei dem mögliche Verdächtige – z-B. Männer eines bestimmten Alters oder Menschen aus einem geografischen Gebiet – zur Abgabe einer DNA-Probe aufgefordert werden. Ihr seht das Problem: Wenn Proben willkürlich aus allen Winkeln des Tatorts und vom Opfer genommen werden, kann natürlich keiner sagen, wie die DNA dorthin gekommen ist. Und die Methode des DNA-Fingerprinting hat inzwischen eine Genauigkeit von eins zu einer Billiarde (das ist eine 1 mit 15 Nullen). Verwechslungen sind also ausgeschlossen.

Gay L. Bush und sein Team an der Universität von Indianapolis in den USA haben eine Studie durchgeführt, in der sie Leute einander zwei Minuten lang die Hand geben ließen. Dann mussten die Probanden jeweils ein Messer in die Hand nehmen – jeder ein anderes, natürlich. Die Messer wurden dann von Forschern, die nicht wussten, wer welches Messer angefasst hatte, auf DNA untersucht. Das beunruhigende Ergebnis: In 85 % der Fälle war die DNA desjenigen, der das Messer nicht in der Hand hatte (dem „Händeschüttelpartner“), deutlich nachweisbar. In 20 % der Fälle interpretierten die Wissenschaftler die Ergebnisse sogar so, dass derjenige, der das Messer nicht in Hand gehabt hatte, der „Haupttäter“ war. Schon ein herzlicher Händedruck kann also so viele Hautzellen übertragen, dass ein Unschuldiger plötzlich sehr verdächtig aussieht – verdächtiger sogar als der echte Schuldige. Also bloß nicht mit dem Falschen kuscheln!

Die Methoden für die Probennahme am Tatort müssen gründlich überdacht und verfeinert werden, denn bisher war dieses Problem nicht bekannt.

Doch es gibt Hoffnung, denn ein Forscherteam um James F. Meadow von der Universität Oregon hat eine weitere Methode gefunden, Menschen eindeutig zu identifizieren: Mit der Mikrobenwolke, die jeder Mensch um sich hat. Mikroben, Bakterien also, leben überall auf und in unserem Körper. Wir beherbergen übrigens etwa zehnmal mehr Bakterienzellen als wir eigene Körperzellen haben. Die Bakterien sind aber so viel winziger als unsere eigenen Zellen, dass das nicht auffällt. Und das ist auch nicht eklig, sondern extrem wichtig, denn unsere Bakterienflora hält uns gesund. Bakterien helfen, die Haut vor Krankheitserregern zu schützen, sie helfen bei der Nahrungsverdauung im Darm und sorgen für ein gesundes Milieu im weiblichen Genitalbereich (Mädels, egal, was die Werbespots sagen – ihr braucht keine speziellen Waschlotions. Die richten nur Schaden an. Lasst mal die Bakterien ihren Job machen, die haben das Millionen Jahre lang gut hingekriegt). Dass wir viele Bakterien beherbergen, wusste die Wissenschaft schon lange – dass die Zusammensetzung der Bakterienflora jedoch individuell so unterschiedlich ist, war bisher nicht bekannt. Das Forscherteam ließ die Probanden einzeln für vier Stunden in einer speziellen Kammer sitzen, um ihre Bakterienwolke zu analysieren. Danach wurde die Kammer sterilisiert und die Probanden kamen wieder, für eine kürzere Zeit. Die Forscher stellten fest, dass sie identifizieren konnten, wer in der Kammer gewesen war, indem sie die zurückgelassene Bakterienwolke analysierten. Noch ist die Methode nicht anwendungsreif, denn nur drei Probanden wurden getestet und das alles in einer sterilen Umgebung, die wirkliche Welt sieht anders aus. Aber auch hier werden genauere Methoden entwickelt werden.

Eine Kombination aus DNA- und Bakterienanalyse könnte in Zukunft Verbrecher eindeutig analysieren. Mörder sollten also ab sofort mit sterilem Ganzkörperanzug und Atemmaske zu Werke gehen. Im Prinzip dürfte man keinen Quadratzentimeter Haut entblößen und die eigene Kleidung niemals mit bloßen Händen berühren. Das könnte schwierig werden!

James F. Meadows Team hat übrigens auch untersucht, wie Rollschuhlaufen sich auf die persönliche Bakterienzusammensetzung auswirkt. Hat da jemand „Ig Nobelpreis“ gesagt?

Erpel, die Erpel begatten, die tot sind

By Kees Moeliker – CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6008753

Wir schreiben das Jahr 1995. Im Naturhistorischen Museum Rotterdam sitzt der Kurator Kees Moeliker (das spricht man “Muhlicker”) in seinem Büro im zweiten Stock, es ist Wochenende und er ist allein im Gebäude. Plötzlich hört er einen lauten Knall, der aus dem Erdgeschoss zu kommen scheint. Kees geht nach unten und entdeckt durchs Fenster die Ursache des Geräusches – eine männliche Stockente ist gegen die Glasfassade geflogen und hat so ihr unzeitliches Ende gefunden. Das passierte damals öfter mit verschiedenen Vögeln, denn die Glasfassade war neu. Kees will nach draußen gehen, um den Erpel einzusammeln – als etwas ungewöhnliches geschieht. Ein weiterer, lebender Erpel kommt hinzu und beginnt, seinen toten Artgenossen aggressiv zu begatten und zwischendurch immer wieder auf ihn einzuhacken. Ganz Wissenschaftler, dokumentiert Kees dieses äußerst verstörende, doch interessante Verhalten, das er weiter durchs Fenster beobachtet. Nach über einer Stunde – der lebende Erpel ist noch immer kräftig bei der Sache – geht Kees nach draußen, scheucht den “Vergewaltiger” weg und sammelt sein Opfer ein. Er wird es später ausstopfen und fotografieren, um seine Beobachtungen in einem Artikel zu veröffentlichen. Dieser Artikel bringt ihm acht Jahre später den Nobelpreis.

Naja, nicht den richtigen Nobelpreis. Sondern den Ig Nobelpreis. Dieser Preis wird verliehen für Wissenschaft, die die Menschen erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringt über Erkenntnisse und Erfindungen, die einzigartig sind (und dies vielleicht auch besser bleiben sollten). Der Name Ig Nobel ist ein Wortspiel aus dem bekannten Nobelpreis und dem englischen Wort “ignoble”, was sowiel heißt wie “schmachvoll” oder “unehrenhaft”. Der echte Nobelpreis ist mit ca. 880,000 € dotiert. Für den Ig Nobel-Preis bekommt man zehn Billionen Dollar.

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Nicht wundern, dass da “Trillion” draufsteht – die Wörter für große Zahlen unterscheiden sich im Deutschen und Englischen. (Bild: zimbabwedollars.net)

Kein Scherz, wirklich. 10,000,000,000,000 Dollar.  Okay, Simbabwe-Dollar (Das war bis 2009 die offizielle Währung dieses afrikanischen Landes). Durch die Extreme Inflation dieser Währung sind die zehn Billionen Simbabwe-Dollar leider praktisch nichts wert. Man kann die Scheine für ein paar Euro bei Ebay kaufen.

 

Auch 2015 gab es Ig Nobelpreise für verschiedene glückliche Wissenschaftler. Die werden übrigens diskret gefragt, ob sie den Preis annehmen wollen, bevor sie zur Zeremonie eingeladen werden. Die allermeisten sagen Ja. Denn es geht nicht darum, die Wissenschaft lächerlich zu machen, sondern ungewöhnlichen und manchmal auch bizarren Erkenntnissen einen gewissen Bekanntheitsgrad zu verschaffen.

Marko Bosscher, https://www.youtube.com/watch?v=1VlgZGg9FTo
Marko Bosscher, https://www.youtube.com/watch?v=1VlgZGg9FTo

Dieses Jahr wurde zum Beispiel ein Wissenschaftler geehrt, der herausfand, dass Hühner wie Dinosaurier laufen, wenn man ihnen einen Pömpel an den Hintern klebt. Ihr wisst schon, das Saugnapfding zum Toilette-Entstopfen. Eine weitere Gruppe Wissenschaftler fand einen Chemikalienmix, um Eier zu “unkochen”, also hartgekochte Eier wieder weichzukriegen. Vielleicht gar nicht schlecht, wenn man auf mittelweiche Eier steht und die Eieruhr mal wieder nicht gehört hat. Ein weiteres Forscherteam aus dem Bereich der Literaturwissenschaften fand heraus, dass jede Sprache ein Äquvalent für das “…, ne?” oder “…, nech?” oder “…, oder?” hat, das man ans Satzende hängt, um sich beim Gesprächpartner Bestätigung zu holen.

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George und Charlotte Blonsky

Auch Erfindungen haben Ig Nobelpreise bekommen. So zum Beispiel ein mechanischer Gebärhelfer, bei dem die Gebärende auf einen Tisch mit drehbarer Oberfläche geschnallt und dann schnell gedreht wird. So soll dem Kind per Zentrifugalkraft aus dem Mutterleib geholfen werden. Das Teil hat natürlich auch ein Baby-Auffangnetz. Ist doch klar, man hat die Maschine schließlich gut durchdacht. Eine andere äußerst praktische Erfindung war ein Wecker, der immer wieder wegläuft und sich versteckt, um einen zum Aufstehen zu zwingen. Die Erfinder hofften, damit das Leben vieler Menschen effizienter zu machen.

Skurrile wissenschaftliche Erkenntnisse erfordern anscheinend überdurchschnittlich viele Selbstversuche. Michael L. Smith ließ sich wiederholt von Bienen stechen, an 25 verschiedenen Körperstellen. Das Fazit: Am Penis tat’s am meisten weh, an den Armen am wenigsten. Aha. Oder Donald L. Unger, der 60 Jahre lang mit den Fingern einer Hand knackte (mindestens zweimal täglich), mit denen der anderen Hand jedoch niemals. Seine Oma hatte ihm als Kind immer gesagt, dass man vom Knacken Arthritis bekäme. Bekommt man nicht, hat er herausgefunden (er jedenfalls nicht). Das nenne ich Durchhaltevermögen! Und dann war da noch John Trinkaus, der sehr genau protokollierte, was ihn im täglichen Leben so störte – wieviele Leute Baseballcaps mit dem Schild nach hinten statt nach vorne tragen, wieviele Leute an einem bestimmten Stopschild nur langsamer wurden, aber nicht anhielten, wieviele Leute mehr als die erlaubten Artikel an der Expresskasse im Supermarkt aufs Band legten, etc. Mehr als 80 solcher Zählungen hat der Mann angefertigt und veröffentlicht.

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Miss Sweetie Poo (das Mädchen links, das den Vortragenden anschreit) bei der Ig Nobelpreis-Verleihung 2002 (Bild: improbable.com)

Einige der Erkenntnisse, die mit einem Ig Nobelpreis ausgezeichnet wurde, waren eher Freizeitprojekte, zum Beispiel die Sache mit dem Fingerknacken. Andere jedoch, etwa die Schmerzstudie von Bienenstichen oder das Huhn mit dem Pömpel am Hintern, gründen auf ernsthaften wissenschaftlichen Fragen. Und ernsthaft ist Wissenschaft eigentlich fast immer, und sehr zeitaufwändig und stressig. Darum ist es ganz schön, wenn man einmal im Jahr über Wissenschaft lachen kann. Das geht am Besten, wenn man sich die Zeremonie auf YouTube anschaut anschaut. Die ist nämlich eine Klasse für sich.

Viele Preisträger kommen in albernen, selbstgebastelten Kostümen, die zu ihrer Studie passen. Um sicherzugehen, dass niemand mit seiner ewig langen Dankesrede das Publikum einschläfert, gibt es ein (echtes! – keine Schauspielerin) achtjähriges Mädchen, “Miss Sweetie Poo”, die den Sprecher nach drei Minuten anbrüllt: “Hör auf, mir ist langweilig!” Und die Preise – aus billigem Material gebastelt – werden von Preisträgern des http://im.rediff.com/news/2014/sep/20nobel11.jpgechten Nobelpreises überreicht. Die Gemeinschaft der Wissenschaftler nimmt die Ig Nobelpreise also durchaus als wichtiges Ereignis wahr! Die renommierte Zeitschrift Nature bezeichnete die Ig Nobelpreis-Verleihung sogar als “Höhepunkt des Wissenschaftsjahres”.

Es gibt Wissenschaftler, die zwei Nobelpreise bekommen haben, z.B. Marie Curie. Es gibt auch Leute, die zwei Ig Nobelpreise bekommen haben. Soweit ich weiß, hat noch niemand sowohl den Ig- als auch den echten Nobelpreis gewonnen. Melanie hat mich in den Kommentaren darauf aufmerksam gemacht, dass Andre Geim, ein russlanddeutscher Physiker, beide Preise bekommen hat: Den echten Nobelpreis erhielt er gemeinsam mit Konstantin Novoselov für ihre Untersuchungen an Graphen (das spricht man “Grafeen”), einer kristallinen Form von Kohlenstoff, die nur eine Atomschicht dick ist und als vielversprechender neuer Stoff für bessere Mikrochips gilt. Den Ig Nobelpreis bekam Andre Geim dafür, dass er die diamagnetischen Eigenschaften von Wasser nutze, um einen Frosch in einem Magnetfeld schweben zu lassen. Andre Geim hat übrigens die britische und niederländische Staatsbürgerschaft und wurde von der Queen of England zum Ritter geschlagen. Der Mann hat wirklich was erreicht im Leben!

PS.: Kees Moeliker hat seinen Ig Nobelpreis bei sich zu Hause im Gästeklo aufgehangen.

Youtube-Kanal!

Heute Mord im Max Planck-Institut!mal was in eigener Sache – ich habe meine Doktorarbeit fast fertig und habe mir mal etwas Zeit genommen, um zwei meiner Vorträge bei YouTube hochzuladen. Außerdem gibt es als kleines Extra eine kurze Fruchtfliegen-Animation, die ich mit Adobe After Effects erstellt habe. Meinen YouTube-Kanal “schlaugemacht” findet ihr unter https://www.youtube.com/channel/UCpTocwOOmYN6zoKwaXd7rtw
In Zukunft möchte ich unterhaltsame und lehrreiche Videos hochladen, also schaut immer mal vorbei! Demnächst gibt es auch endlich wieder einen neuen Blog-Artikel. Jeej! 😀

Pandas – zu doof zum Überleben?

Wenn man das Wort „Panda“ bei YouTube eingibt, bekommt man 5.480.000 Ergebnisse. Das ist deutlich weniger als wenn man die Worte „cat“, „dog“ oder „tiger“ eingibt. (Nur so nebenbei: Ich wollte eigentlich recherchieren. Nachdem ich eine halbe Stunden lang Katzenvideos geschaut hatte, fiel mir plötzlich wieder ein, dass ich ja noch einen Blogpost schreiben wollte…). Allerdings wurde das meistgesehene Pandavideo über 216 Millionen Mal angeklickt, das meistgesehene Katzenvideo nur ca. 88 Millionen Mal. Das beliebteste Hundevideo schaffte immerhin 167 Millionen. Wir finden Pandas eben unwiderstehlich niedlich. Und die Tatsache, dass es nicht so viele Pandavideos gibt, liegt vielleicht einfach daran, dass es nicht so viele Pandas gibt. Womit ich dann auch schon beim Thema wäre: Ich vertrete die sehr unpopuläre Meinung, dass man nicht so krampfhaft versuchen sollte, den Großen Panda vor dem Aussterben zu bewahren. Seine Zeit ist gekommen, lasst ihn los. Ich habe sogar eine Begründung.

Zunächst muss ich jedoch klarstellen, dass die Zerstörung von Lebensräumen durch den Menschen die größte Bedrohung für viele wilde Tiere ist. Dazu gehören vor allem große Säugetiere wie Tiger, Leoparden, Elefanten, Nashörner, Gorillas und Orang-Utans. Wälder werden für die Landwirtschaft oder wegen der vorkommenden Bodenschätze gerodet. Chemikalien, die zum Düngen oder im Bergbau eingesetzt werden, vergiften den Boden, sodass eine Rückkehr der Natur sehr lange nicht möglich ist, selbst nachdem der Mensch aus dem Gebiet wieder verschwunden ist. Das Verschwinden vieler Arten ist die Schuld des Menschen und wir tun gut daran, dem entgegenzuwirken, vor allem durch den Erhalt von Lebensräumen.

Über den Panda muss jedoch gesagt werden, dass er wahrscheinlich einfach zu spezialisiert ist (noch dazu auf denkbar ungeeignete Weise), um noch sehr lange überleben zu können. Nehmen wir seine Ernährung: Der Panda ist ein Bär und zählt damit zu den Raubtieren. Er hat einen kurzen Darm, wie für Raubtiere üblich, ein Raubtiergebiss und alle Enzyme, die man braucht, um Fleisch zu verdauen. Leider frisst er fast nie Fleisch, sondern fast ausschließlich Bambus. Und leider hat er keine Enzyme, um Pflanzen verdauen zu können. Er hat stattdessen bestimmte Bakterien in seinem Darm, die die Pflanzenzellen aufbrechen und das bisschen Energie darin für den Bären nutzbar machen. Da der Darm, in dem diese Bakterien leben jedoch so kurz ist, haben die Bakterien kaum Zeit für ihre Aufgabe. Dementsprechend muss ein erwachsener Panda 9 – 14 kg Bambus am Tag verspeisen, um genug Energie zum Überleben zu haben. Da darf man nicht wählerisch sein und muss nehmen, was man finden kann. Das ist dem Panda aber herzlich egal, er verschmäht 1.425 der bekannten Bambussorten und frisst nur 25 Arten von Bambus. Da alle Pflanzen einer bestimmten Bambusart zur selben Zeit wachsen, blühen und dann sterben, muss ein Panda mindestens zwei seiner bevorzugten Bambusarten in seinem Lebensraum haben, damit er immer was zu fressen hat. Was für ein Mäkelfritz! Übrigens: Pandabären haben ca. 40 Mal am Tag Stuhlgang. Vierzig! Mit all dem Essen und Kacken bleibt dann auch keine Energie mehr für irgendetwas anderes. Pandas vermeiden darum aktiv sozialen Kontakt mit Artgenossen und halten sich von steilem Gelände fern. Ist ja auch viel zu anstrengend.

Dementsprechend leben Pandas alleine und tolerieren andere Pandas ausschließlich während der Paarungszeit. Das Weibchen ist allerdings nur einmal im Jahr für ca. 2 – 3 Tage empfängnisbereit. Wenn da gerade kein Männchen in der Nähe ist, wird es schwierig mit dem Nachwuchs. Doch selbst, wenn die Paarung gelingt, kann man noch nicht aufatmen. Pandababys gehören zu den verhältnismäßig kleinsten Säugetierkindern. Mit ca. 0,1 % des Körpergewichts ihrer Mutter haben sie etwa die Größe einer Ratte. Bei Geburt sind Pandajungen blind, nach sechs bis acht Wochen öffnen sich die Augen, und unabhängig werden Pandakinder im Alter von zwei Jahren. Bis dahin muss man sie erstmal durchbringen. Werden zufällig mal Zwillinge geboren, verlässt die Mutter eines der Jungtiere. Der Grund dafür ist, dass sie nicht genug Milch für zwei Babys produzieren kann. Die beinahe ausschließlich pflanzliche Ernährung versorgt den Panda schlichtweg nicht mit genug Energie und lässt auch keine Speicherung von Fett im Körper zu.

Wie jeder von den vielen niedlichen YouTube-Videos weiß, gibt es zahlreiche Versuche, Pandas in Zoos zu halten und zu vermehren. Unsummen werden darin investiert, die Bären zur Fortpflanzung zu animieren. Man zeigt ihnen Videos von kopulierenden Panda-Pärchen und gibt den Männchen Viagra. Trotz der großen Geldsummen, die in die Pandazüchtung gepumpt werden, ist der Erfolg sehr mäßig. Die Bären haben einfach keinen Bock. Das Geld wäre wohl sehr viel besser angelegt, wenn man das Land, auf dem Pandabären noch in freier Wildbahn leben, kaufen und schützen würde.

Experten streiten sich darüber, ob der Große Panda sowieso aussterben wird oder ob es allein die Schuld des Menschen ist. Pandas gibt es seit ca. 7 Millionen Jahren. Vor etwa 2 Millionen Jahren traf dieser Bär die Entscheidung für eine radikale Ernährungsumstellung von Fleisch auf Bambus, wahrscheinlich aufgrund einer Genmutation, die ihm buchstäblich den Geschmack für Fleisch raubte. Solche zufälligen Mutationen passieren ständig, in allen Lebewesen. Manchmal sind sie von Vorteil, dann entwickelt sich die Art weiter. Und manchmal sind sie eben von Nachteil, dann stirbt die Art aus. Das kommt vor, und zwar täglich. Beim Panda sehen wir es eben viel mehr als bei irgendeiner Seegurke, weil er groß und kuschelig ist. Ob das aber immer der beste Grund ist, viel Geld in die Arterhaltung zu pumpen?