Doktor Cooper, Doktor Hoffstadter, Doktor Koothrappali und Howard Wolowitz – kein Doktor.

http://scienceblogs.com/principles/files/2013/02/bigbang-lunch-cbsx-large.jpgIch liebe The Big Bang Theory. Aber der gezeigte Umgang von Wissenschaftlern untereinander basiert auf einer hoffnungslos veralteten Etikette. Wenn promovierte Wissenschaftler, also Leute mit Doktortitel, einander begrüßen oder vorstellen, sagt man den Doktortitel nicht mit dazu. Und wir duzen uns alle und sprechen uns mit dem Vornamen an. Erstens ist das einfacher so und zweitens ist die Sprache der Wissenschaft Englisch, und da gibt es kein „Sie“. Außerdem kann man bei uns nicht mit dem Doktortitel protzen, weil jeder einen hat. So ist das in den Naturwissenschaften. Merkwürdige Welt, wirklich.

Nur Ärzte machen das, glaube ich, anders. Warum? Ein Naturwissenschaftler arbeitet drei bis sieben Jahre an der Doktorarbeit. Ärzte drei bis sieben Wochen. Kein Quatsch. Nach drei bis sieben Jahren hat man dann auch die Schnauze voll und es ist einem sowieso egal, man will nur noch fertig werden mit dem Kram und sch*** auf den Titel. Aber wenn man nur drei bis sieben Wochen dran gesessen hat, muss man den Titel vielleicht dauernd sagen und überall hinschreiben, damit man nicht vergisst, dass man ihn hat. Die einen arbeiten sich fix und fertig um wichtige neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu machen, eingehend zu prüfen und in einen Zusammenhang zu bringen mit allem, was man bisher auf dem jeweiligen Gebiet weiß. Die anderen werten mal schnell ‘ne Statistik aus. Und doch kriegen alle dieselben zwei Buchstaben. Dr. Irgendwie ungerecht.

Ok, jetzt mal im Ernst. Ärzte haben einen harten und extrem wichtigen Job. Aber der „Dr. med. Dünnbrettbohrer“, wie DIE ZEIT einst titelte, ist eine Fassade. Sie ist notwendig, weil die Allgemeinheit sich daran gewöhnt hat und sich ein unterschwelliges Gefühl manifestiert hat, ein Arzt ohne Doktortitel sei irgendwie kein richtiger Arzt. Noch verrückter: Krankenhäuser vergeben aufgrund dessen beinah niemals Stellen an nicht pomovierte Ärzte. Und so müssen die Medizinstudenten sich während der Examensvorbereitung noch ein Thema für die Doktorarbeit aus den Rippen leiern und die während des Lernens auch noch irgendwie schreiben. Das erfüllt ganz und gar nicht den Zweck der Promotion, denn der ist: „… die Fähigkeit zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen der Bearbeitung eines thematisch begrenzten Forschungsbereichs zu belegen; im Mittelpunkt steht die Anfertigung einer Doktorarbeit (Dissertation), welche neue wissenschaftliche Ergebnisse enthält.“ Selbstständiges wissenschaftliches Arbeiten bedeutet, eine interessante wissenschaftliche Fragestellung zu finden, eine Hypothese zur Beantwortung dieser Frage zu formulieren und diese Hypothese dann mithilfe von Experimenten eingehend zu prüfen. Problem eins: Wer frisch von der Uni kommt, hat keine Ahnung, was in der Wissenschaft gerade abgeht. Das Finden der Frage dauert meistens einige Monate (Es sei denn, der Prof. serviert sie einem). Problem zwei: Im Laufe des allerersten Experiments zur Prüfung der Hypothese stellt sich heraus, dass die Hypothese Quatsch ist. Neue Hypothese, andere Experimente. Problem drei: Die wochenlang sorgfältig geplanten Experimente liefern im besten Fall ein völlig unerwartetes Ergebnis, im zweitbesten Fall kein Ergebnis und im allermeisten Fall funktionieren sie einfach gar nicht. Daher die drei bis sieben Jahre. Wenn man die rum hat, kann man wirklich von sich behaupten, ein vielfach frustrationsgeprüfter Wissenschaftler mit ausgeprägter Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten zu sein. In drei bis sieben Wochen schafft man das einfach nicht.

Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, auch Ärzte können mehrere Jahre lang promovieren. Doch der Alltag und die typische Karriereleiter eines praktizierenden Arztes lassen das eigentlich nicht zu. Ein Arzt, der mit Patienten arbeiten möchte, hat also kaum die Möglichkeit, sich ausgiebig der Wissenschaft zu widmen. Und wer es doch tut, muss das entweder parallel zu seiner Arbeit als praktizierender Arzt machen oder wird danach Schwierigkeiten haben, wieder in die Praxis einzusteigen.

Ärzte stehen also von zwei Seiten unter Druck – auf der einen Seite verlangt die Bevölkerung (Und die meisten Arbeitgeber!) den Doktortitel und auf der anderen Seite stehen die beleidigten Naturwissenschaftler (wie ich), die nicht mit den Turbo-Promovenden in dieselbe Schublade gesteckt werden wollen.

Habe ich einen Lösungsvorschlag? An meinem Institut werden Mediziner mit 100 % Gehalt „gelockt“, um ihnen die ausgiebige Promotion schmackhaft zu machen. Doktoranden bekommen normalerweise nur 50% Gehalt (bei 150 % Arbeitsstunden…). Aber das löst nicht das Problem der fehlenden Praxiserfahrung für die promovierenden Ärzte. Meine beste Idee ist, ein Umdenken in der Bevölkerung anzustoßen, um dem medizinischen Doktortitel seinen Legendenstatus zu nehmen und die Akzeptanz für nicht promovierte Ärzte so weit zu erhöhen, dass es irgendwann nichts mehr ausmacht, ob man den Titel hat oder nicht. Dann kann der Titel vielleicht seine ursprüngliche Bedeutung als Auszeichnung für intensive wissenschaftliche Arbeit wiedererlangen.